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Sebastian Oberlohr

Nachname:
Oberlohr
Vorname:
Sebastian
geboren:
1927-04-25
Zugehörigkeit:
OsttirolerIn
letze Änderung:
Wed Nov 04 13:58:24 UTC 2020
Biographie
Sebastian Oberlohr kommt am 25. April 1927 in Kals in Osttirol zur Welt. Luckner Wascht gerufen. Luckner nach dem Lucknerhaus genannt, an dem Familie Oberlohr 1951 zu bauen beginnt. Wascht steht für Sebastian, wohl ein zu langer Name, um ihn rufen, wenn Not am Mann ist am Großglockner. Und er hat zu viel erlebt, um jetzt nur für das Kalser Heimatmuseum zu leben. Doch sein Herz hängt schon daran, was die Einwohner so alles zusammengetragen haben an Musikinstrumenten, den Ausrüstungsgegenständen der Glocknerführer und vor allem den Handwerksgegenständen, von denen er selbst noch einige in der Hand hatte. "Wer ist nicht stolz auf seine eigene Gemeinde, auf den eigenen Bezirk? Dafür hat man auch gearbeitet und gelebt, und das hat man aufgebaut!" Zuerst einmal muss Sebastian einrücken, ehe im Mai 1944 die ersten Bomben um den heimatlichen Hof fallen. Knapp 100 Meter beträgt die Differenz zwischen Tod und Leben. Schlimmeres sollte folgen. 1945 erhält Sebastian Oberlohr den ersten Heimaturlaub, wo er gleich aufräumen muss, nachdem siebzehn Fliegerbomben nun wirklich Tod und Verheerung bringen. Noch vier Tage Aufräumungsurlaub erlaubt die Kreisleitung von Kärnten. Sebastian rückt wieder ein, dieses Mal kommt er nach Tarvisio. Und nach drei Tagen "ist der Engländer gekommen." Mit 18 Mann seiner Gruppe beschließt er, "abzuhauen". Die möglichen Folgen kennen alle: Fahnenflüchtigen droht die Todesstrafe. Daheim aber wird viel gebetet, sagen sie sich, und darauf bauen sie. Andrerseits, wenn sie noch einen Tag gewartet hätten, wären sie in Kriegsgefangenschaft geraten. Vier Tage samt dem schwersten und längsten halben Tag dauert es bis nach Hause - ohne einen Bissen zu essen. Beim Rückzug über Kärnten das Gailtal herauf, begegnet den Tirolern ein noch größeres Elend: Tausende von Kosaken. "Die hatten auch nichts zu essen. Wo sollten die etwas hernehmen?" Noch ahnt Sebastian nicht, welches schreckliche Schicksal den Kosaken als Kämpfer für Deutschland an der Drau widerfahren sollte. Die Flucht der Kosaken begann Anfang Mai 1945 über den Plöckenpass, wo sie von der SS nach Kötschach-Mauthen geleitet wurden. Für den fahnenflüchtigen Trupp Tiroler, noch immer in voller Uniform, erweist sich der Marsch der Kosaken in die vermeintliche Freiheit wiederum als günstig. Wegen der Menschenmassen kommen keine Streifenwagen mehr durch. Bis Oberdrauburg können die Osttiroler auf der Straße gehen, dann ist die Brücke über die Drau gesperrt. Auch in Oberdrauburg lagern die Kosaken.Die Osttiroler halten sich links der Drau mit dem Gefühl, Linz erreichen sie nie mehr. "Aber es ist doch, wie ich gesagt habe, unsere Schutzengel haben geholfen. Wir sind heimgekommen." Bald darauf überschreiten übrigens die britischen Truppen, denen Sebastians Gruppe entschlüpfte, am 8. Mai den Plöckenpass und besetzen das Gailtal. Drei Tage nach Sebastians Ankunft daheim ist das Kriegsende offiziell. Dann fragt niemand mehr nach einem Entlassungsschein. Doch heute noch, wenn Sebastian Oberlohr irgendwo eine Brotsemmel herumliegen sieht, denkt er sich oft: "Hoffentlich kommt nie wieder einmal so eine Situation, dass man das ein bisschen mehr schätzt." Nun aber steht er da, ohne dass er je die Chance hatte, einen Beruf zu erlernen. Er ist 18 Jahre alt. Heute sagt man 18 Jahre jung. Doch aus einem Krieg kommt keiner der Halbwüchsigen als junger Bursche nach Hause.Der älteste Bruder besuchte noch Landwirtschaftsschule, die zwei jüngeren Brüder arbeiten auf dem Bauernhof, führen ihn weiter. 1951 beginnt der Bau der Lucknerhauses auf 1.920 m Höhe, jetzt bequem erreichbar über die Großglocknerstraße. Den Weg von unten hinauf wird noch während des Krieges zusammen mit gefangenen Franzosen vorbereitet. Ein Franzose will mit dem Arbeiten gar nicht aufhören. Als es beim Wirtschaftsgebäude alles zerschlug, baut er die Wagen wieder zusammen. "Aber im Krieg natürlich waren es die Feinde, ja, sonst hätte es keinen Krieg abgegeben. Nur die Politik macht das, nicht der Mensch!" Die Franzosen fahren nach dem Kriegsende heim. Vielleicht schnell genug, bevor sie sich an die neue Feindschaft gewöhnen.Noch sind zur Lucknerhütte 30 Kilometer mit 700 Metern Höhenunterschied zu bewältigen. Zweimal am Tag - "und oben natürlich keine Baumaschine." Zunächst wird alles nur mit Pickel und Schaufel gemacht. Große Steine allerdings müssen gesprengt werden. Dann erhalten die Oberlohrs vom Amt für Landwirtschaft einen Kompressor. Sebastian und sein Bruder zerlegen das Gerät. Heimlich, denn an sich müsste es in der Landwirtschaft verwendet werden, führen sie mit einem Pferd die Kompressorteile den Berg hinauf. Wie aber setzt man das teure Stück wieder zusammen? Zu guter Letzt ruft Sebastian, der "Handlanger", seinem Bruder zu: "Rupert, der Kompressor wird laufen, es ist keine Schraube übriggeblieben."Außerdem bauen sie gleich ein Kleinkraftwerk, dass sie Strom haben beim Hausbauen. Das erste Kraftwerk mit 25 kW haben sie bereits während des Krieges bei der Lucknerhütte gebaut - und am 7. Juli 1943 eingeschaltet. Der erste Strom oben auf 2240 Meter, da ist der Vater sehr weitblickend gewesen. Ab dieser Zeit entstehen zwischendurch vier Kraftwerke ? wann immer sie Zeit dafür finden. Beleuchtungssachen liegen so ein wenig in der Familie. 1953 die erste Saison und die ersten Gäste! Das Gepäck wird mit Pferd und Wagen hinaufgeführt - die Gäste gehen noch zu Fuß. 1954 und '55 wird der Weg bereitet. Fünfeinhalb Kilometer mit Pickel und Schaufel! An den steilen Hängen leistet jeder Einheimische seinen Anteil. Und alle haben ihre Anteile, die Bauern und die Hütten und wer sonst beteiligt ist. Die Glorahütte zum Beispiel bauten drei Großonkel der Brüder Oberlohr. Alle drei waren Bergführer vor weit mehr als hundert Jahren. Was zählen schon Jahre, wenn die Werke bleiben? Nachbarn gewissermaßen in der Ortschaft Glor. Glor heißt Berg, deshalb lautet die Bezeichnung Glorahütte.Nicht nur Sebastians Vater kämpft ums schwer verdiente Geld. Wie Sebastians Mutter, die mit einem großen Sack mit Schafwolle zum Umtauschen von Kals nach Lienz geht - und wieder zurück. Das sind insgesamt 70 Kilometer. Es gibt ja keine Verdienstmöglichkeiten. Bauernmägde oder Bauernfrauen betteln darum, auch etwas zu tragen. Um einen Kreuzer machen sie es. Billiger als die anderen drücken sie die Preise, "wirklich Blutgeld". Dann kommen die Geldentwertungen, und alles ist umsonst gewesen. Der Vater, der mit 50 Kilo bis 60 Kilo auf dem Buckel hinauf zur Adlersruhe stapft. Mit 3.454 m Seehöhe wohl noch immer die am höchsten gelegene Schutzhütte Österreichs. Sie steht auf dem Felsen der Adlersruhe direkt am Gipfelaufbau des Großglockners.Die eigene Heimat: "Nicht wie bei vielen anderen, die Heimatvertriebene gewesen sind. Wir durften daheim bleiben und haben das alles halt wieder aufgebaut." Bei vielen Höfen kommen die Ehemänner oder die zukünftigen Männer nicht mehr heim. Aber die Familien helfen einander. "Was man selbst aufbaut, hat man auch am liebsten." Sebastian Oberlohr ist stolz darauf, "dass man da gelebt hat. Da geboren ist." Anju